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Aktuelle Predigten


- Evangelische Kirche in Buggingen 

„Alsbald war da aber bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“                                   Lukas 2, 14 

 
Liebe Gemeinde!

Ich nenne ihn einfach einmal Manfred. Denn es behagt mir nicht, dass er in meiner Geschichte sonst keinen Namen hat. Er saß mir bei der Adventsfeier schräg gegenüber. Manfred ist gelähmt. Spastiker, wie man das im Medizinerdeutsch so sagt. Als ich die Predigt während der Weihnachtsfeier hielt, war Manfred immer in meinem Blickfeld. Er verzog keine Miene. Aber ich merkte, dass er genau zuhörte, während sich seine Zunge unablässig aus seinem Mund schob und sie wieder hineinging.

Und während ich so sprach schoss es mir durch den Kopf: War das Lob Gottes in seinen Ohren nicht Hohn? War nicht all die adventliche Freude, die Kerzen und die freudigen Gesichter, der Jubel der Menschen und all das Schöne nicht zutiefst verlogen? Und hätte ich nicht verstummen müssen? Was waren all die guten Worte, angesichts des Leides dieses jungen Mannes mir gegenüber im Rollstuhl? Am Schluss der Andacht sollten wir singen: „O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit....“. Bei dem Gedanken, wie diese Worte wohl auf ihn wirken würden, wurde mir ganz anders. Aber auch hier sollte er mich eines Besseren belehren. Es ging ein Leuchten über Manfreds Gesicht. Er strahlte und sang aus voller Brust mit. Aber was hieß das schon? Denn es kamen nur gurgelnde Laute aus seinem Mund. Aber ich hörte die Engel, die da sangen: „Ehre sei Gott in der Höhe...“. Manfred hatte verstanden, dass dieser Gott eben nicht in der Höhe geblieben ist. Vielmehr ist er herabgekommen zu uns in unsere Tiefen. Gott hat sich nicht herabgelassen, sondern hat unsere Gestalt angenommen. Er ist Mensch geworden. Nun gibt es nicht mehr wertvolle und unwerte Menschen, fremde und hiesige, Frau und Mann, arm und reich. Denn uns allen ist der Retter geboren. Und damit ist klar: Jeder Mensch, wie mangelhaft er sich auch erlebt, ist angenommen. Denn Gott nimmt die bedürftigste und schwächste aller menschlichen Gestalten an: Er wird ein kleines hilfloses Kind. Und nun ist klar: Gerade  der Schwächste und Hilfloseste, gerade der, der nichts mehr zu bestellen hat, ist Gott recht. Und machen wir uns da nichts vor: Wer von uns kennt das nicht: dass wir selbst schwach und hilflos und ohnmächtig sind, dass wir nicht mehr weiterkommen, dass uns vielleicht nur das Gebet über die Lippen kommt: „Herr erbarme dich!“ Das muss ich aber nicht wegdrücken und verdrängen, das darf ich annehmen und Gott anvertrauen und sprechen: „Du bist als der Schwächste und Hilfloseste gekommen. Du hast all dies angenommen. Nimm nun auch mich an und verwandle mich.“ Deshalb gilt dir heute Abend dieses Wort: Dir ist der Heiland geboren. Dir in all deiner Schwäche, in der Sorge deiner Tage, in der Unruhe deiner Nächte, in den Bedrängnissen, die du so gut vor anderen verbirgst. Dir ist heute der Heiland geboren. Glaube es und ergreife es mit der Kraft deines Herzens und es wird wahr für dich. Denn eines ist gewiss: Gott kommt in deine Nacht. Er hält sich nicht vornehm raus aus all dem, was dich betrifft. Er hängt sich rein, damit alle in dieser Nacht wissen, dass sie nicht vergessen sind. Hören wir die Worte genau: „Es waren in dieser Nacht Hirten auf dem Felde.“ Nur die Hirten auf dem Felde, die draußen sind und sich aussetzen, erleben die Ankunft des Retters. Denn in der Nacht, ist man froh um jeden Stern. Die Leute in Bethlehem, die in ihren warmen Betten schlafen, die keine Sorgen haben oder die in dieser Nacht keinen Raum in der Herberge gewährt haben, sie alle werden von der Botschaft dieser Nacht nichts mitbekommen. Sie werden nichts hören und sehen von all dem, was sich bei denen tut, die der Nacht ausgesetzt sind. Vielleicht geht es darum, dass wir uns aussetzen. All dem, was um uns herum geschieht. Dass wir uns den Kindern aussetzen mit ihren Fragen und Sorgen, ihren Nöten und Bedrängnissen. Vielleicht geht es darum, dass wir uns unseren Frauen und Männern aussetzen, und all dem, was sie brauchen und wessen sie heute bedürfen. Denn aussetzen heißt: Gott und meinen Nächsten in mein Leben einlassen. Es heißt: den anderen wahrnehmen, wie er ist. Wachsam werden und sehen, wo Gott mein Leben verwandeln möchte, wo ich gebraucht und gerufen werde. Sich aussetzen heißt aber auch, dass Manfreds Geschichte weitergeht. Als wir unser „o du fröhliche...“ fertiggesungen hatten, setzte sich eine junge Frau neben Manfred. Und sie fing an ihn zu füttern. Es fiel ihr am Anfang sichtlich schwer und sie war auch ganz unsicher, weil sie ihn nicht verstand. Aber je länger sie sich ihm ausgesetzt hatte, desto genauer erkannte sie, was er brauchte. Und ich hörte wieder einmal die Botschaft aus dem Lukasevangelium: Und die Hirten kehrten um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten. Billiger ist das Glück und das Leben nicht zu haben, dass wir was wir empfangen haben auch weitergeben. Dass wir im wahrsten Sinne des Wortes umkehren, ein neues Leben beginnen. Dass wir alles, was uns geschenkt wurde, auch verteilen und andere damit reich machen. Denn dies eine ist gewiss: Uns ist heute der Heiland geboren. Amen.